Die verbale Titanic oder "Warum versteht mich keiner?!"
Was ist daran einfach nicht zu verstehen?! Diese Frage stellen wir uns häufiger im Leben. Während der Inhalt und die Absicht für uns eindeutig erscheinen, mangelt es doch, für uns überraschenderweise, beim „Empfänger“ am Verständnis. Was gestern noch klar war, wird heute bockig verweigert.
Es gibt da scheinbar also noch mehr, als die verbale Botschaft, etwas das ordentlich Potential für ein „Missverständnis“ hat.
Ja, ja ich „sehe“ den einen oder anderen von Ihnen gerade vor mir und hören Sie bitte auf zu schnipsen, es kann Sie eh keiner hören. Wir sind auch gerade nicht in der Schule, Sie sitzen nicht in der ersten Reihe und haben auch keine logistischen Unterstützungsleistungen in Sachen meiner Aktentasche zu leisten ;)
In der Tat haben sich über diese verbale Übermittlungsherausforderung verschiedene schlaue Köpfe schon ihre Gedanken gemacht. Gern genommen bei diesem Thema ist der Herr Schulz von Thun mit seinem „Vier Ohren Modell“. Nein, bleiben Sie jetzt bitte bei mir und lesen Sie weiter, auch wenn Sie ziemlich sicher zu sein scheinen, daß Ihnen diese Theorie nicht von Nutzen sein wird, da Sie nur über ein Paar Ohren verfügen. Ich löse das gleich noch auf!
Herr von Thun hat festgestellt, daß es neben der rein verbalen Mitteilung vier Aspekte gibt, das Gesagte zu deuten. Diese vier Aspekte sind
- die Selbstoffenbarung des Sprechenden
- der Sachinhalt der Mitteilung
- die Beziehung des Sprechenden zum Hörenden
- der Appell an den Hörenden
Hier ein Beispiel. Sie gehen zum Bäcker und stellen sich an den Tresen. Der Backwarenverkäufer Ihres Vertrauens wendet sich ihnen interessiert zu und Sie legen los: „Zwei Brötchen bitte!“.
Mitteilung : „Zwei Brötchen bitte!“
Selbstoffenbarung : Ich habe echt Hunger
Sachinhalt : Sie möchten gerne zwei Brötchen kaufen
Beziehung : Kunde und Verkäufer kommen beim Verkauf von Backwaren in der Regel in eine „(Handels-)Beziehung“
Appell : Bitte packen Sie mir zwei Brötchen ein (wenn es schnell geht ist auch nicht schlimm)
Das klappt in der Regel immer ganz gut und es gibt bekanntlich keine Geschichten von Menschen, die in Tränen aufgelöst vorm Tresen stehen, weil sie so nicht an die Backware ihrer Wahl gekommen wären.
Ändern Sie nur einen Parameter in dieser Szene, funktioniert das Ganze schon nicht mehr. Äußern Sie diesen Wunsch z. B. in einem Autohaus … Sie werden sicherlich hungrig bleiben!
Aber leider verirren wir uns mit unseren Anliegen eher seltenerer beim Adressaten. Es ist vielmehr das „nonverbale“ Umfeld auf das unsere Wünsche und Botschaften auch treffen und dann dort verarbeitet werden müssen.
So kommen wir auch schon an unseren „Kommunikations-Eisberg“ oder wie ich es lieber nenne „Eisbergtheorie der Zwischenmenschlichkeit“. Mein besonderer Dank geht im Rahmen dieser „Eisbergtheorie“ an Herrn Vilfredo P. in Italien.
Diese Eisbergtheorie befindet sich bei Herrn von Thun im Aspekt der „Beziehung“. In welchem Verhältnis Sender und Empfänger stehen, ist somit entscheidend für den Ausgang des Gespräches.
Während wir in der täglichen Kommunikation nur das Offensichtliche (20%) wahrnehmen bzw. realisieren können, wie z. B. die äußere Erscheinung, die Art des Ausdrucks oder das Auftreten, den Bildungsgrad / die Funktion (auf der Visitenkarte), liegen 80% leider unter der Wasserlinie versteckt, ähnlich wie bei einem Eisberg und können daher nicht oder nur sehr schwer erkannt werden.
Dies sind Themen wie z. B. persönliche Werte, Interessen, Talente, Motivationen oder das momentane persönliche Umfeld. Somit trägt die Fähigkeit diese 80% bei unserem Empfänger schnell zu erkennen und zu verstehen, erheblich zum beiderseitigem Gesprächserfolg bei.
Das hört sich kniffelig an! Wie soll ich diese 80, so wichtigen Prozente, auf der Beziehungsebene wahrnehmen, wenn ich sie nicht sehen kann?
Kommen wir zur Titanic, verlassen aber die Erinnerungen an ihr tragisches Schicksal. Bei der Seefahrt hat man dieses Problem, dieses Wahrnehmungsdefizit, über die Jahre gelöst. So nutzen Schiffe heute ein Sonar um Untiefen oder beim Angeln Fische erkennen zu können. Mittels ausgesandter Schallimpulse wird eine Verortung der aktuellen Situation vorgenommen und somit das Unsichtbare technisch sichtbar gemacht. So erreicht das Schiff, auch durch Riffe hindurch, sicher den Hafen und der Fischer macht einen guten Fang.
Nur was machen wir als Mensch mit diesem Wissen? Ein menschliches „Gemüts-Sonar“ wurde bis dato noch nicht erfunden. Ich stelle mir gerade vor, wie ein solches Sonar denn aussehen könnte. Vielleicht tragen wir dann alle Basecaps und statt eines kleinen albernen Propellers, dreht sich nun eine Schüssel auf dem Kopf und tastet unser Umfeld ab … Ping Ping Ping …
Da der technische Fortschritt nun noch auf sich warten läßt, nutzen wir doch einfach unseren Kopf. Weniger um ihm ein Basecap aufzusetzen, sondern vielmehr um zu verinnerlichen und zu akzeptieren, daß das Gesagte und Gesehene von unserem Gegenüber nur 20% der von uns dann wahrgenommenen „Wahrheit“ darstellen kann.
Je komplexer eine Situation ist, z. B. ein Streitgespräch, je mehr sollten wir versuchen unseren Gesprächspartner unter seiner momentanen, persönlichen Wasserlinie zu verstehen. Gibt es z. B. noch Einflußfaktoren die losgelöst von der Person (oder den handelnden Personen) gerade noch großen Einfluss haben?
Bei einem Parkrempler gibt eine Vollkaskoversicherung dem Verursacher eine ganz andere Souveränität in der Situation, als wenn er keine Versicherung hätte und dazu auch noch in Geldnot wäre. Da wird dann aus dem sonst so friedvollen und kompromissbereiten Menschen plötzlich eine streitbare Natur.
Sensorisch sich selbst und die Gesprächspartner unterhalb der beschriebenen Wasserlinie in einer Gesprächssituation „abzutasten“ und wahrzunehmen, ist somit ein, wenn nicht sogar der wesentliche Faktor für eine erfolgreiche wie zielführende Kommunikation.
Gelingt es mir diese Erkenntnisse ganzheitlich zu erlangen, bekomme ich ein Verständnis meiner selbst und meines Gesprächspartners. Entsprechend kann ich nun mein Handeln daran ausrichten.
Gibt es vielleicht Einflüsse, die mich selbst gerade nicht befähigen eine faire und sachliche Diskussion zu führen? Ist es dann ggf. besser den Termin zu verschieben oder explizit darauf im Gespräch hinzuweisen? Beides kann helfen. Ebenso kann ich Verständnis darüber gewinnen, daß mein Gegenüber vielleicht auch mal nicht so wie gedacht und üblich reagiert.
In der vertrauensvollen Führungsarbeit (Mindful Leadership) hilft es dem Vorgesetzten zu wissen, daß vielleicht gerade persönliche Umstände des Mitarbeiters die volle, bisher bekannte Leistungsfähigkeit, erschweren oder gar unmöglich machen.
Habe ich genauere Kenntnis über die besagten 80% meines Gegenübers, kann ich meine Gesprächsführung oder Verhandlungsstrategie gezielt wie individuell anpassen. Gerade in Verkaufssituationen kann ich eine Sichtbarkeit meines Kunden und seiner Individualität im Gespräch damit erreichen. Ich adressiere persönlichere Botschaften und kann u. a. Themen wie Wertschätzung und Respekt zum Ausdruck bringen.
Also dann, bitte mal das Sonar aktivieren, gute Gespräche und volle Kraft voraus !
Haben Sie Fragen zur „Eisbergtheorie der Zwischenmenschlichkeit“? Dann freue ich mich auf Ihre Kontaktanfrage.